Gut weiterleben. Trotz allem
Wie viele Schicksalsschläge kann eine Familie verkraften? Das fragt man sich unwillkürlich, wenn man sich mit Wolfgang N. unterhält. Sein Schwager starb früh, kurz darauf der Schwiegervater. Ihnen folgte im August N.s Frau, noch keine 60 Jahre alt. Doch der ehemalige Bahnmitarbeiter lässt sich nicht unterkriegen – genauso wenig wie seine Schwiegermutter. Für Haushalt und Pflege der seit einem Schlaganfall halbseitig gelähmten Seniorin ist Danuta Szoltum zuständig. Auf die 55-jährige polnische Krankenschwester kann sich Wolfgang N. blind verlassen, wofür er ihr und der vermittelnden Agentur Pflegeherzen ungemein dankbar ist.
Ein grauer Februarmontag im Nordsaarland: „Heute ist sie ziemlich müde. Sie liegt noch im Bett“, sagt Wolfgang N. und meint seine Schwiegermutter. Nach einem entspannten, „guten“ Wochenende macht ihr an diesem Morgen das feucht-trübe Wetter zu schaffen, das sich draußen als Sprühnebel auf die Felder legt und manche Menschen melancholisch werden lässt. Auch die gesunden.
Seit ihrem Schlaganfall im November 2013 ist Teresia L. halbseitig gelähmt. „Sonst sitzt sie im Rollstuhl um diese Zeit“, erklärt der Schwiegersohn. Ohne Technik wäre es schwierig, die 83-Jährige, die meistens in ihrem Spezialkrankenbett liegt, in den Stuhl zu heben. Aber dieser Haushalt ist barrierefrei und bestens ausgestattet. Was Danuta Szoltum bestätigt. Die 55-jährige ausgebildete Krankenschwester sorgt für die Seniorin. Zwei Monate am Stück kümmert sich Danuta um alles, als wäre das hier ihr eigener Haushalt. Tatsächlich befindet der sich im polnischen Kamień Pomorski, einer der ältesten Städte Westpommerns, nahe der Ostseeküste. Auf einen achtwöchigen Arbeitsaufenthalt in Deutschland folgen für die Mutter dreier erwachsener Kinder jeweils zwei Monate zu Hause. Für August ist ein Heimaturlaub schon fest eingeplant: Dann nämlich soll ihr erstes Enkelkind auf die Welt kommen. Worauf sich Danuta mächtig freut.
Geburt und Tod sind die Eckpfeiler eines jeden Lebens. Die Spanne dazwischen fiel für etliche Mitglieder der seit Generationen im Hochwald verankerten Familie viel zu kurz aus. Zuletzt starb die Frau von Wolfgang N. an einer Lungenembolie, völlig unerwartet, aus heiterem Himmel. „Sie wollte beruflich kürzer treten“, erinnert sich der Ehemann kopfschüttelnd. „Wir hatten noch so viel vor.“ Trotzdem schwingt keine Bitterkeit in seinen Worten mit. Der gelernte Kraftfahrzeugmechaniker war früher häufig für die Deutsche Bahn auf Montage. Jetzt kümmert er sich um seine Schwiegermutter, deren rechtlicher Betreuer er ist. Gepflegt wurde Teresia L. früher von einer ihrer beiden Töchter. Seit 2015 übernehmen das polnische Kräfte, die von der Schiffweiler Agentur Pflegeherzen vermittelt werden.
„Wir haben uns damals umgehört, was so möglich ist.“ Das Konzept der Pflegeherzen sagte der Familie zu. „Das hat uns gut gefallen“ – und tut es bis heute. Danuta, die im März von ihrer Kollegin Alissia abgelöst wird, steht die ganze Wohnung zur Verfügung. In dem zum Krankenzimmer umfunktionierten Schlafzimmer liegt Teresia L. und hört Radio. „Sie muss laufend umgelagert werden“, informiert der Schwiegersohn , der nebenan im Haus wohnt. Er erledigt die Einkäufe und alles, was organisiert werden muss. Ansonsten schaltet und waltet Danuta hier. Ihr Schrankbett klappt sie morgens hoch, damit im Wohnzimmer mehr Platz für den Rollstuhl ist. Etwa zwei Stunden am Tag sitzt Teresia L. in dem mobilen Gefährt. Der Blick aus dem Fenster lohnt sich: „Es gibt Schafe, Rinder, Hühner und Pferde, der reinste Zoo“, lacht der Gesprächspartner, „eine schöne Aussicht“. Ruhig ist es hier auch, es gibt keinen Durchgangsverkehr. „Die Pflegekräfte fühlen sich wohl.“
Was nicht zuletzt darauf zurück zu führen ist, dass sie per polnischem Decoder ihre Heimatsender im Fernseher anschauen können. Dafür installierte Wolfgang N. eigens eine separate Satteliten-Schüssel. „Ich kann mir schon vorstellen, wie schwer das ist, hier zu sein und die Familie 900 Kilometer entfernt.“ Deshalb lässt er nichts unversucht, damit sich die Frauen „absolut heimisch fühlen“.
„Frau L. muss essen, es ist 10 Uhr“, sagt Danuta und holt eine neue Packung Fertignahrung. „Was gibt es heute, Schwenker in der Tube“, fragt Wolfgang N. mit einem Lächeln. Teresia L. wird über eine PEG Ernährungssonde versorgt. Weshalb Danuta für sich alleine kocht, wofür sie ein extra Versorgungsgeld bekommt: „Normaler Weise essen Betreuerin und der zu Betreuende ja zusammen.“ Seine Schwiegermutter sei eine „angenehme Patientin“, betont der Witwer. Trotz ihrer Bettlägerigkeit ist sie zufrieden mit ihrer Situation. Gearbeitet hat die 83-Jährige früher in der Holzfaserfabrik im Nachbarort – am Fließband, in der Furnierherstellung.
Die Waschmaschine läuft. Alles wirkt eingespielt und total entspannt. „Ich bin sehr zufrieden“, sagt Wolfgang N. und dass er seine Entscheidung für Pflegeherzen noch keine Minute bereut habe. „In der Übergangszeit war die Schwiegermutter während unseres Urlaubs in der Kurzzeitpflege im Heim. Da hat sie sich schnell wundgelegen.“ Am dritten Tag wurde eine offene Stelle am Fuß entdeckt. „Dass in Pflegeheimen jemand zu kurz kommt, ist leider völlig normal“, weiß der Rentner. „Aber das passiert hier nicht.“ Punkt.
Normaler Weise kommt er nur ein Mal pro Woche vorbei, „ich will den Beiden nicht auf den Keks gehen“. Dafür schauen die Nachbarn gern mal vorbei, und die verbliebene Tochter, eine examinierte Krankenschwester, kümmert sich um die Medikamente. Es soll sich ja auch niemand beobachtet fühlen. Kontrolle sei keine notwendig: „Ich sehe doch: Alles ist sehr sauber und die Schwiegermutter gut gepflegt.“ Finanziell sei die 24-Stunden-Betreung im Übrigen dank Rente, Sozialamt und Zuschüssen finanzierbar. Auch wenn andere meckern, Wolfgang N. weiß das hiesige Sozialsystem zu schätzen: „Der deutsche Staat hat schon was übrig für ältere Leute.“